Craft Beer und Deutschland sind zwei Begriffe, die in einem schwierigen Verhältnis zueinander stehen. Bei der Einheitsplörre von Beck's, Warsteiner, Krombacher, etc. ist es allerhöchste Zeit für eine Bewegung, die diesem etwas entgegensetzt. Andererseits gibt es aber, gerade in Franken und Bayern, Hunderte alte und kleine Familienbrauereien, die hauptsächlich lokal vertreiben und die den Tatbestand des "Craft Beer" zu hundert Prozent erfüllen. Craft Beer muß nicht zwingend (India) Pale Ale sein. Handwerklich gebrautes Bier ist es allemal; welche Sorte, steht dabei im Hintergrund.
Anfänge für eine neue Entwicklung, speziell in die Richtung der anglo-amerikanischen und belgischen Biersorten, sind jedoch bereits seit wenigen Jahren zu beobachten. Die bekannte Bayreuther Brauerei Maisel etwa hat eine eigene Marke für "Edelbiere" erschaffen; kleinere, regionale Brauereien wie Faust aus Miltenberg, Bosch aus Bad Laasphe oder Hachenburger haben ebenfalls solche Serien aufgelegt. Dazu kommen wirkliche Microbrewers wie z.B. Pax Bräu oder das Ale Project.
Seit 2009 ist bereits die Radeberger Gruppe mit ihrer Craft-Sparte BraufactuM am Markt. Diese besteht neben eigenen Bierkreationen auch aus dem Import von hochwertigen Bieren aus dem Ausland. Diese Biere sind per Online Shop, aber auch in zahlreichen Märkten im ganzen Land erhältlich.
Vor wenigen Tagen nun hat die Bitburger Gruppe ein neues Projekt ins Leben gerufen, ihre neue Marke Craftwerk Brewing. In der hauseigenen Versuchsbrauerei in Bitburg wurden hier anscheinend schon seit einigen Jahren neue Kreationen getestet und probiert. Jetzt ist es an der Zeit, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Wenn auch sehr dezent. Eine Werbung scheint es nicht zu geben, Google spuckt unter dem Begriff nur wenig Zutreffendes aus und der Vertrieb läuft ausschließlich über den eigenen Online Shop. Angeboten werden ein Belgisches Tripel, ein Pale Ale und ein "American India Pale Ale" unter den phantasievollen Namen Craftwerk Holy Cowl, Craftwerk Tangerine Dream und Craftwerk Hop Head IPA. Sorten, Design und Namen sind also klar an die etablierte amerikanische Craft Beer-Szene angelehnt.
Nun, was ist Craft Beer noch wert, wenn es nicht von kleinen, unabhängigen Brauern, sondern von den größten Konzernen der Branche in diesem Land hergestellt wird? So übel Radeberger und Bitburger sein mögen, ihre Anwesenheit in diesem Segment zeigt, daß sich der deutsche Biermarkt schließlich doch noch in Bewegung setzt. Die vergangenen Jahrzehnte waren und sind nach wie vor geprägt von einem stetigen, deutlichen Rückgang des Bierkonsums. Antworten darauf waren mehr billige Discount-Biere, die im Lohnbrauverfahren hergestellt werden, Mischgetränke für Teenager und Twens, eine Reduzierung der Geschmacksintensität der klassischen Produktpalette (Jever und Flensburger sind doch heute nicht mehr so hopfig wie vor zehn, zwölf Jahren, oder?) und neuerdings auch die sogenannten Faßbrausen. Mit vernünftigem, gar innovativem Bier wurde selten geantwortet. Auch das Bier aus der Vergangenheit würde mich interessieren. Von Älteren habe ich schon öfter gehört, daß diese oder jene große Biermarke früher viel besser geschmeckt hat. Wie hat ein gutes Pils, ein authentisches bayerisches Helles oder Weißbier vor 50 Jahren geschmeckt?
Nun scheint sich aber mit der Präsenz der großen Braukonzerne im Craft Beer-Segment etwas zu ändern. Ich finde das trotz der erläuterten Widersprüche jedoch sehr begrüßenswert. Einerseits: klar, die Konzerne beobachten die (internationalen) Märkte und wissen, was sich anderswo längst entwickelt hat und hier möglicherweise gerade entwickelt. Mit der Anwesenheit in diesem Segment kann man auch zu groß werdende Konkurrenten kontrollieren, einfach kaufen und ins eigene Portfolio überführen. Andererseits: der positive Aspekt liegt für mich darin, daß regionale Brauereien einen Anreiz finden, auch neue Wege zu beschreiten. Die oben erwähnten Microbrewers sind dafür zu klein, zu neu, zu sehr an die amerikanische Bierrevolution der 80er und 90er Jahre angelehnt. Hier gibt es bereits sehr viele Brauereien im Verhältnis zu unserem kleinen Land. Wir brauchen nicht tausend neue Brauereien wie damals in den USA, aber hundert, die anfangen, ihr Bier zu verbessern! Die zahlreichen unabhängigen, teilweise in Familienbesitz befindlichen regionalen Brauereien jedoch ahmen in der Regel das nach, was die großen Brauereien vorgeben. Deshalb ist es in Ordnung, daß Bitburger und Radeberger mit ihren Craft-Marken auf dem Markt mitmischen. Mit dem Ankommen neuer Bierstile im Getränkemarkt werden auch die durchschnittlichen Bierverbraucher (und nicht nur die Geeks) darauf aufmerksam, vor allem wenn diese Produkte von ihrer gewohnten, regionalen Brauerei stammen, deren Produkte sie schon seit Jahren kaufen. Nur so können diese Neuerungen sich auch am Markt einen kleinen Anteil sichern, der auch zur Etablierung verhilft.
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